DAS AUSSTELLUNGSPROGRAMM DER ARTOTHEK DER STADTBÜCHEREI KÖLN

Christiane Dinges (Leiterin der Artothek der Stadtbücherei Köln)


Vorbemerkung

Als Zentrum für die bildende Kunst, speziell für die Moderne, ist Köln international bekannt. Wallraf-Richartz-Museum, Museum Ludwig, Josef Haubrich-Kunsthalle, ein äußerst aktiver Kunstverein und zahlreiche renommierte Galerien locken mit ihren Exponaten und wechselnden Ausstellungen nicht nur zu Messen und Kongressen ein nach Millionen zählendes kunstinteressiertes Publikum an - für eine städtische Artothek mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln ein fast aussichtsloses Unternehmen, sich in dieser schier erdrückenden, hochrangigen Kunstszene einen Platz im Bewußtsein der Bevölkerung zu erkämpfen.

Der Artothek der Stadtbücherei Köln ist dieses Kunststück dennoch gelungen und zwar so nachhaltig, dass z.B. eine von den kurzsichtigen Sparkommissaren der Stadtverwaltung Köln beabsichtigte Schließung 1982 dank der massiven Proteste der Bevölkerung und der der Artothek verbundenen Künstler verhindert werden konnte. Die Mobilisierung einer breiten Protestbewegung gelang der Kölner Artothek nicht zuletzt durch ihre äußerst erfolgreiche Ausstellungstätigkeit, die begünstigt wird zum einen durch die glückliche Raumsituation der Artothek - ein denkmalgeschützter, großzügiger, hoher Hallenbau, zum anderen aber und nachhaltiger durch eine überzeugende Ausstellungskonzeption, die der Artothek ihre Funktion und ihren Platz in dem vielfältigen Kölner Kunstangebot sichert.

Diese rege Ausstellungstätigkeit, die seit Anbeginn einen Schwerpunkt der Artothek der Stadtbücherei Köln bildet, ist deshalb hier nachfolgend als gelungenes Beispiel für eine wirkungsvolle Möglichkeit von überzeugender Öffentlichkeitsarbeit geschildert. (d. Hrsg.)


In einem spätgotischen Bürgerhaus aus dem 15. Jahrhundert, einer ehemaligen Zweigstelle der Stadtbücherei nahe dem Kölner Dom, wurde 1973 die Artothek gegründet. Sie bietet den Bürgern und Besuchern der Stadt die Möglichkeit, Werke junger Kunst gerahmt und verpackt gegen eine geringe Versicherungsgebühr auszuleihen. Anders als in Museen und Galerien können die Entleiher die Kraft und den Reiz eines Bildes in den eigenen vier Wänden eine Zeit lang überprüfen. Auf ganz unverbindliche Weise gelingt es so immer wieder, neue Interessenten für Kunst anzusprechen und gleichzeitig aktuelle Kunst zu fördern und zu verbreiten.

Schon ein Jahr nach ihrer Gründung begann die Artothek mit ihrem Ausstellungsprogramm. In meist monatlichem Wechsel gibt sie Kölner Künstlern Gelegenheit, ihre Arbeiten öffentlich zu zeigen. Zunächst handelte es sich um kleinere Präsentationen auf einer Empore im Zwischengeschoß, während im Untergeschoß der ausleihbare Bestand der Artothek hing. Es war die Künstlerin Marlini Wickrama-Sinha, die 1977 den Anstoß dazu gab, den gesamten Raum für Ausstellungen zu nutzen. Sie wollte, dass ihre großformatigen, schwarz-weißen Bilder, die sie in ihrer engen Küche gemalt hatte, mit ausreichendem Abstand angesehen werden konnten - zunächst auch von ihr selbst. Die Wirkung war überzeugend. Der schöne, hohe Raum war für Ausstellungen wie geschaffen. Ohnehin war die ausleihbare Kunst so gut nachgefragt, dass die Entleiher oft vor leeren Wänden standen. So setzte eher zufällig eine im Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen recht ungewöhnliche Entwicklung ein. Nach und nach wurde die Artothek zu einem Ausstellungsraum für Kölner Künstler, in dem auch Galeristen und andere Kunstvermittler sich über neue Entwicklungen informieren.

Die Ausstellungen folgen keinem festen Konzept. Möglichst alle Richtungen aktueller Kunst sollen gezeigt werden: von Videoinstallationen, raumbezogenen Arbeiten und Performances über Zeichnungen, bis hin zu heftiger, monochromer oder radikaler Malerei. Für Niveau und Kontinuität bürgt eine Jury, der auch Museumsleute und der Direktor des Kölnischen Kunstvereins angehören. Damit haben die Ausstellungen der Artothek ein eigenes, neutrales Profil gewonnen, so dass auch arrivierte Künstler gern die Gelegenheit wahrnehmen, eine Auswahl ihrer Arbeiten hier zu zeigen. Dazu gehören neben vielen anderen so bekannte Namen wie Bernhard Johannes Blume, Raimund Girke, Edgar Gutbub, Antonius Höckelmann, Dieter Krieg, Rune Mields, Mechtild Nemeczek-Frisch, Ansgar Nierhoff, Heinz-Günter Prager, Ulrike Rosenbach, Alf Schuler, Hann Trier, Gottfried Wiegand, Dorothee von Windheim.

In solchem Zusammenhang finden die Ausstellungen jüngerer, noch weniger bekannter Künstler ebenfalls Beachtung. Für manche war es der Beginn ihrer Karriere. Die Ausstellungen werden in der lokalen Presse besprochen und bringen auch der Artothek damit Publizität und neue Besucher. So ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen Ausleihe und Ausstellungsprogramm, denn auch die Entleiher von Kunstgegenständen lassen sich bei ihrer Auswahl durch die Ausstellungen gern inspirieren.

In der Regel planen und realisieren die Künstler ihre Ausstellungen selbst. Die Artothek nimmt auf Auswahl und Präsentation möglichst keinen Einfluß; die Künstler sollen sich frei entfalten können. Sie sorgt für Einladungen, Pressekontakte und Versicherung der Exponate, hilft beim Aufbau und vermittelt Verkäufe, ohne Provision zu nehmen. Aus jeder Ausstellung wird zur Ergänzung des Ausleihbestandes und gleichzeitig als Künstlerförderung etwas angekauft. Im Mai 1988, zum 15jährigen Bestehen, präsentierte die Artothek mit dem Maler Peter Toliens ihre 150. Ausstellung, dazu kommen noch viele nicht gezählte Performances.

Fast immer haben sich die ausstellenden Künstler auf besondere Weise mit dem Raum der Artothek auseinandergesetzt. Ihre eigenwillige aber nicht unproblematische Architektur, die durch die Empore die Möglichkeit der Aufsicht erlaubt, erwies sich für viele als besondere Herausforderung. So entstanden hier Präsentationen von außerordentlichem Reiz und Experimente, die im Hinblick auf kommerzielle Gesichtspunkte in Galerien kaum möglich wären.

Eine der frühen und im Rückblick immer noch eine der schönsten Ausstellungen gestaltete 1977 der Künstler C. 0. Paeffgen. Mit merkwürdigen, zum Teil gefundenen Objekten, einem riesigen, asphaltgrauen Herzen mit einem Pflasterstein auf grauem Boden, einer metallenen Träne an einem Ständer für Straßenschilder, rosafarbenen, drahtumwickelten Strohkörpern an der Wand und mit einigen für ihn typischen, stark konturierten Bildern gab er dem Raum eine poetische, leise Atmosphäre.

Anfang 1981 bemalten die "Neuen Wilden" Kölns, die "Mülheimer Freiheit", zu der damals die Künstler Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Walter Dahn, Georg Dokoupil, Gerd Keever und Gerhard Naschberger gehörten, Decken und Wände der Artothek zu einem Gesamtkunstwerk. Als Gast der Gruppe schlug Karel Rösei einen überlebensgroßen Elefanten in den Putz. Es entstand ein verschlüsseltes Geflecht aus bissigen, kritischen, respektlosen Zitaten aus der neuesten Kunstgeschichte. "Schlechte MalereC, schrieben die Kunstkritiker. Doch die Ausstellung wurde ein Erfolg; die "heftige Malerei" prägte die Kunstszene der darauffolgenden Jahre.

Mit einer sieben Meter breiten, diagonal gehängten Fotoarbeit ignorierte Astrid Klein 1982 alle räumlichen Vorgaben. Es waren schwarze Schatten an einer verwitterten Mauer vorbeispringender Hunde zu sehen - auf der Jagd oder vielleicht auf der Flucht. Die Hunde tauchten auch auf einer anderen Wand wieder auf, sparsam an den Ecken angebracht. Diese Mischung aus Fotografie und Rauminstallation war von besonderer, suggestiver Kraft.

Zu ihrem zehnjährigen Bestehen und gleichzeitig als 100. Ausstellung zeigte die Artothek 1983 Arbeiten des in Köln lebenden Amerikaners James Reineking: Zwei massive Bodenstücke aus rostigem Schiffbauerstahl und an den Wänden äußerst zart kolorierte, geschnittene und gedrehte aquarellierte Zeichnungen, die bei aller Gegensätzlichkeit auf subtile Weise mit den schweren Skulpturen korrespondierten. Die Besucher des gleichzeitig in Köln stattfindenden Fortbildungsseminars des Deutschen Bibliotheksinstituts zum Thema Kunstausleihe werden sich an die Ausstellung mit dem Titel "gleich/ungleich" erinnern.

Drei Beispiele aus dem Jahre 1985 sollen den Versuch, einerseits die Besonderheit und andererseits die Vielseitigkeit der Ausstellungen in der Artothek aufzuzeigen, abschließen:

Klaus vom Bruch zeigte seine Videoinstallation "Wir laufen nicht davon", die schon im Vorjahr im zentralen Kuppelbau der Biennale Venedig zu sehen war. Zwei simple, lebensgroße Figuren, eine grün, eine rosa, faßten sich, durch eine Säule voneinander getrennt, an den Händen. Zwei durch Antennen gespeiste Monitore auf der Empore lieferten sich wechselseitig ablösende oder gleichzeitig laufende enervierende Bilder und Geräusche: Charlie Chaplins Rede als großer Diktator, Computerzeichen und -töne, den Kopf des Künstlers hinter einer als Maske dienenden Antenne zu umgeschnittenen Tangosequenzen von faszinierender Sogwirkung.

Um die Themen Beziehung und Kommunikation ging es auch der Künstlerin Petra Stilper. Sie stellte zwei riesenhafte Wesen leicht voneinander abgewandt vor einen auf einen ca. 6 x 8 m großen Vorhang gemalten Horizont mit Halbmond. Mit dieser theaterhaften Inszenierung gab die Künstlerin ein Rätsel auf. "Jahre danach ... *', so der Titel der Ausstellung, erzeugte die irritierende Vision einer Zukunft nach einem nicht näher definierten, beklemmenden Ereignis.

Besonders ungewöhnlich war die Raumarbeit der Gruppe "Erste Hilfe". Die Künstler Roland Anselm, Bernd Fox, Erich Maas, Adi Meier-Grolmann und Udo Sturm setzten eine sparsame Installation - ein monochromes Bild, eine Leiter und Goldbarren mit abgewetzten Metzgermessern auf einem niedrigen Podest - in ein befremdliches Licht, das keinerlei Farbwahrnehmung mehr erlaubte. Die Situation weckte die Neugier nach der Farbe des Bildes, die nur mit Hilfe einer anderen Lichtquelle, zum Beispiel eines Feuerzeuges auszumachen war. Eine ebenso beklemmende wie faszinierende Aimosphäre!

Im Gesamtbild der Kölner Kunstszene, ihren Museen, Galerien und freien Ausstellungsinitiativen hat die Artothek als Ausstellungsraum für Kölner Künstler einen eigenständigen, festen Platz. Bei geringem Verwaltungsaufwand bringt sie ein hohes Maß an Präsenz in der Öffentlichkeit und in den Medien. Sie gibt damit auch der Kunstausleihe neue Impulse. Wichtige Voraussetzungen sind ansprechende Räume in zentraler Lage, kompetente Jurierung und ständige informelle Zusammenarbeit mit anderen Kunstvermittlern, der Presse und natürlich mit den Kölner Künstlern. In Zusammenarbeit mit dem Kölnischen Kunstverein und dem Kulturamt sind zum Beispiel auch "Tage der offenen Ateliers" entstanden, die die Möglichkeit bieten, Künstler in ihren Werkstätten zu besuchen sowie ein kommunales Künstlerverzeichnis, das inzwischen schon in dritter Auflage vorliegt und für alle Kunstinteressierten zu einem wichtigen Auskunftsmittel geworden ist. Solche Aktivitäten hatten auch über die Stadtgrenzen hinaus Resonanz.

Die Zahl der Artotheken und Graphotheken in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin ist in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen. Gemeinsames Ziel dieser Einrichtungen ist es, einerseits mit einem attraktiven Angebot ausleihbarer Bilder der Kunst ein neues Publikum zu gewinnen und andererseits junge Kunst zu fördern. Aus Kölner Erfahrung lässt sich sagen, dass die Veranstaltung von Ausstellungen bei dieser Aufgabe eine sinnvolle Ergänzung sein kann.

Für Artotheken kleinerer Gemeinden mit entsprechend geringerem Kulturangebot ist der Gedanke, die Arbeit nicht allein auf den Ankauf und die Ausleihe von Kunst zu beschränken, möglicherweise noch interessanter. Mit Ausstellungen der Künstler ihrer Region könnten sie eine zentrale kulturelle Funktion übernehmen.

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